Wie ein Kindergarten auf dem Bauernhof entsteht

Für die gelernte Zahnarzthelferin Heidi Geßner (36) war die Übernahme des väterlichen Betriebes keine Option. „Doch je älter man wird, um so größer wird der Ruf des Herzens!“ beschreibt sie. Mit Anfang 30 besuchte sie einen Kurs des Bildungsprogramms Landwirt (BiLa) und stieg mit ihrem Mann doch noch beim Vater ein.

Der Hof in Großbardorf ist vielfältig aufgestellt. Die Familie betreibt Getreideanbau, beteiligt sich an der Biogasanlage im Ort und hat sich außerdem auf die Pensionstierhaltung zur Nachzucht für Milchviehbetriebe spezialisiert: Das heißt sie bekommt junge weibliche Rinder von Milchvieh-Betrieben, füttert und pflegt diese bis zur Geschlechtsreife, sorgt für die Besamung. Nun soll ein weiterer Betriebszweig hinzukommen: ein Kindergarten! Wir haben Heide Geßner besucht und zu ihren Gründen und Erfahrungen befragt

Soziale Landwirtschaft

Frau Geßner, wie kamen Sie auf die Idee mit dem Kindergarten?

Nach dem BiLa besuchte ich das Seminar zur Betriebszweigentwicklung Soziale Landwirtschaft. Wir hatten Kontakt mit einem Naturkindergarten, also so einem alternativen Konzept mit Bauwagen im Wald. Das fand ich interessant. Es war ein krasser Gegensatz zum normalen Regelkindergarten, mehr in der Natur, ursprünglicher. Und bei uns waren schon immer Kinder auf dem Hof. Wir sind eine große Familie und haben auf unserem Aussiedlerhof auch eine geeignete Außenanlage. Das ist ja im Grunde ein Schatz und ein ungenutztes Potenzial für die Gesellschaft und vor allem Kinder. Dieses ursprüngliche, was jeden Menschen anspricht, hier den Kindern anbieten zu können, das war meine Motivation.

Klingt nach einem richtigen Pilotprojekt. Wurde das bei Ihnen im Ort positiv aufgenommen?

Ja, sehr! Die Kindergartenleitung bei uns im Ort war gleich begeistert, und dann natürlich auch der Bürgermeister, weil Kindergartenplatz ja dringend gebraucht wird.

Alle Seiten profitieren also?

Ja, das ist mein Ziel. Für sowas muss man auch gemeinsam anpacken, damit es was wird. Es wusste ja niemand so genau, wie man einen Bauernhofkindergarten umsetzt. Wir mussten die einzelnen Schritte erst gemeinsam erarbeiten. Dafür wurde ich dann z. B. in die Gemeinderatssitzung eingeladen und durfte mein Projekt vorstellen.

Aufregend!

Sehr aufregend! Auch die ganze Kindergartenleitung und deren Aufwandsträger habe ich dann kennenlernen dürfen. Das ist wichtig. Es braucht klare Absprachen und Grenzen. Wir haben genau besprochen, wo sich die Kinder aufhalten dürfen, haben Regeln festgelegt und Zäune geplant.

Gab es eine TÜV-Prüfung?

Ja, die Kommunale Unfallversicherung Bayern (KUVB) hat unseren Hofe gesichtet und zusätzlich noch eine Fachkraft für Arbeitssicherheit, die uns eine Gefährdungsbeurteilung gemacht hat und von der wir Empfehlungen bekommen haben wie die Räumlichkeiten kindgerecht genutzt werden können. Die landwirtschaftliche Berufsgenossenschaft wird ebenfalls in die Planung mit eingebunden.

Und was ist dabei rausgekommen, wie wollen Sie es nun umsetzen?

Rausgekommen ist, dass wir einen Wohncontainer auf insgesamt 450 Quadratmetern Fläche mit Spielplatz und Außenanlage unterbringen können. Die konkrete Gestaltung plane ich zusammen mit der Kindergartenleitung aus dem Ort. Es wird grundsätzlich ein normaler Regelkindergarten, der etwas alternativ ausgestattet ist mit Baumstämmen und anderen Naturmaterialien für die Kinder zum Spielen. Das ist dann eine Außenstelle des kommunalen Kindergartens in Zusammenarbeit mit der Gemeinde als Sachaufwandsträger und der Caritas als Träger des Kindergartens.
Es soll von morgens um 8:30 Uhr bis nachmittags gehen – wie lange wird noch genau verhandelt. Und es wird eine Vorschulklasse, etwa 15 Kinder im Vorschulalter.

Dann kann es also im September losgehen?

Fast. Jetzt warten wir noch auf die Genehmigung durch das Landratsamt und sind im Gespräch wegen des Mietvertrages. Am Ende vermieten wir ja unsere Hoffläche an die Gemeinde, dabei hilft mir der Steuerberater. Und dann kann es losgehen. Komisch irgendwie, wenn ich so darüber nachdenke, wie das am Anfang mit der Idee war …

Welche betriebliche Entwicklung erwarten Sie für sich, falls der Kindergarten dann wirklich kommt?

Ich werde regelmäßig Arbeitszeit investieren müssen, ich schätze etwa 4 bis 5 Stunden in der Woche. Es wird immer wieder Rücksprachen mit der Kindergartenleitung über aktuelle Sachen geben. Ich habe mir überlegt, dass ich im Morgenkreis mal dazukommen kann, um zu erklären, was für den Tag ansteht. Zum Beispiel sollten die Kinder während der Erntezeit lieber in den Räumlichkeiten und dem Spielplatz bleiben. Wenn es ruhiger auf dem Hof zugeht, können sie im Kuhstall Futter beischieben oder die Hühner betreuen. Kinder sind immer ganz fasziniert, wenn ein Huhn ein Ei gelegt hat. Sie erleben das als ein echtes Wunder, was es ja auch ist. Wir können da viel von den Kindern lernen.

Wissensriese und Umsetzungszwerg

Wie ist denn sonst die Aussicht für Sie als klassischer landwirtschaftlicher Betrieb?

Spannend! Nach dem Besuch der Landwirtschaftsschule habe ich das Gefühl, dass ich viel weiß und mich jetzt in der Tat beweisen muss: Wissensriese und Umsetzungszwerg – haben Sie das schonmal gehört?

GruppenfotoZoombild vorhanden

Heidi Geßner mit Schulklasse

Sie meinen, dass Ihnen noch viel Erfahrung fehlt?
Ja, man braucht viel Erfahrung. Ohne meinen Papa und meinen Mann ginge das alles nicht, Wir sind ein Familienbetrieb und ich komm‘ da mit meinen Flausen, die gar nicht so einfach zu verwirklichen sind. Ich bin froh, meine Familie zu haben. So ein neuer Betriebszweig in der Landwirtschaft ist immer ein Familienprozess, jeder muss an der Entscheidung beteiligt werden und ein gutes Gefühl haben, jeder wird dann auch wirklich gebraucht mit seinen Ideen.
Wie lange hat denn dieser familiäre Prozess bei Ihnen gedauert?

Hm, als ich die Idee hatte, konnte ich mir das noch gar nicht vorstellen, dass es wirklich klappt. Bei uns hat es 2 Jahre gedauert von der Idee bis jetzt.

Würden Sie es im Nachhinein etwas anders machen?

Nein. Ich denke, wir sind auf dem richtigen und auf einem guten Weg. Vertragsverhandlung ist für mich etwas ganz Neues gewesen, den eigenen Wert einzuschätzen, die eigene Arbeitsstunde in Zahlen zu erfassen. Die Landwirtschaftsschule Schweinfurt hat mir da sehr geholfen. Ich möchte eine Win-win-Situation, für die Gemeinde etwas bewirken, aber das Wirtschaftliche darf darunter nicht leiden, denn sonst löst sich das ganze soziale Projekt ja auch in Nichts auf, wenn wir nicht existieren können. Das muss schon zusammenpassen.

Was steht dann nach den Formalitäten konkret als nächstes an?

Mit Mietvertrag und Baugenehmigung können wir dann Fundamente ausgießen, Gelände einfrieden, also entsprechend umzäunen, unfallsicher machen, einen Kanal legen. Es wird ein richtiger kleiner Kindergarten entstehen.

Zum Abschluss, wenn Sie jetzt einen Wunsch frei hätten, was wünschen Sie sich?

Ich würde mir wünschen, dass jeder landwirtschaftliche Betrieb erkennt, dass er nicht nur Lebensmittel produziert. Wir sind viel mehr für unseren Ort als nur das. Ich glaube, jeder Betrieb hat seine Stärken und kann diese in sozialen Projekten mit andern teilen. Dann wird das auch gesellschaftlich mehr wahrgenommen, was wir leisten. Es gibt so viele drängende Themen, z. B. auch die Arbeit mit Menschen mit Behinderung.
Meine Vision ist, dass jeder Betrieb das eigene Potenzial erkennt und umsetzt.

Interview: Maria Schmitt, AELF Schweinfurt

Fotos: Heidi Geßner, Maria Schmitt

Landwirtschaftsschule Schweinfurt

Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten fördern weitere Standbeine

Bayern setzt schon lange auf seinen eigenen Bayerischen Weg in der Agrarpolitik. Ziel ist, Familienbetrieben eine Zukunft in der Landwirtschaft und einen höheren Stellenwert in der Gesellschaft zu ermöglichen. Umgekehrt soll auch die Bevölkerung von der Existenz vielfältiger landwirtschaftlicher Betriebe profitieren.

Die Ämter für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten unterstützen darum Betriebe dabei, sich neben der klassischen Nahrungsmittelproduktion diverser aufzustellen. Um die Existenz langfristig zu sichern, ist es sinnvoll, seinen Betrieb weiterzuentwickeln. Mehr als 66 Prozent der bayerischen Bauernfamilien setzen bereits auf Alternativen zur klassischen Landwirtschaft, denn hier sind den Betriebsleitern wegen knapper Ressourcen oft Grenzen gesetzt.

Landwirte in Bayern leisten zentrale Beiträge für die Allgemeinheit.

  • Sicherung der Lebensmittelversorgung – u. a. durch Direktvermarktung auf dem Bauernhof
  • Sicherung der Energieversorgung – z. B. durch Biogasanlagen
  • Schulbildung der Kinder – z. B. als Lernort Bauernhof
  • Bildung der Gesamtbevölkerung – als Erlebnis Bauernhof, durch qualifizierte Kräuterpädagogen, Gartenbäuerinnen, Gästeführer (Weinerlebnis Franken, Weindozenten)
  • Gesundheitsfürsorge – z. B. durch Hauswirtschaftliche Fachservices, Referentinnen für Hauswirtschaft und Ernährung
  • Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Pluralität – z. B. durch Soziale Landwirtschaft
Soziale Landwirtschaft.

Soziale Landwirtschaft beinhaltet u. a. sozialpädagogische Initiativen wie Schul- und Kindergartenbauernhöfe. Sie bedeutet Teilhabe, d. h. den landwirtschaftlichen Betrieb auch als soziale Stätte mitten in der Gesellschaft zu begreifen und zu nutzen. Sie richtet sich darum an die Allgemeinheit genauso wie an Menschen mit besonderen (sozialen) Bedürfnissen, zum Beispiel von Menschen mit körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigungen, sozial schwächer gestellten Menschen, straffällig gewordenen Jugendlicher und der großen Gruppe aktiver Senioren.